Samstag, 26. Januar 2008

Vor 75 Jahren: die „Deutsche Revolution“







30.1.1933, 11:15 MEZ, Berlin

„Eine tiefe Unruhe war schon lange in der Stadt, und jetzt, da Hitler Reichskanzler wurde, war sie Wochen und Monate von einer nicht endenden Bewegung erfüllt; es war, als ob die Häuser leer ständen und ihre Bewohner sich auf den Straßen einrichteten. Aufmärsche und Umzüge uniformierter Kolonnen, Massenversammlungen, rote Fahnen überfüllten die Stadt, Redner tauchten auf allen Plätzen auf, und die Straßen waren so verstopft, dass ich lange Umwege machen musste, um in meine Wohnung zu kommen. Die Umzüge hatten nichts Festliches; sie blieben Demonstrationen und gehörten zu dem beständigen Plebiszit, zu dem die Massen aufgefordert wurden. Das alles erinnerte mich an die Novembertage 1918, an die ruhelosen Umzüge und Aufmärsche, die ich in Oldenburg, Hannover und anderen Städten gesehen hatte. Auch ist zwischen beiden Ereignissen ein genauer Zusammenhang; eines ist ohne das andere nicht zu denken. Temperatur und Temperament beider Vorgänge war freilich verschieden. der düstere, feuchte November des Jahres 1918, in dem der Krieg verloren war, das Volk seine Waffen niederlegte und die Straße sich mit erschöpften, ärmlich gekleideten und unterernährten Menschen füllten, bot keine Hoffnung. damals schränkte die Not alles ein, und die Bewegung war in sich uneinig, während jetzt eine schrankenlos scheinende Zustimmung jeden Widerspruch verstummen ließ. Die Frage, wodurch so große Kräfte frei gemacht wurden, war nicht schwer zu beantworten; es war der Zusammenfluss zweier Ideologien, durch den sie ausgelöst wurden. Alles, was in deren Fronten seit langem eingebaut war, alle Mittel und Mannschaften, die an diesen Fronten bisher gebunden waren und sich bekämpften, wurden jetzt frei. Darin lag für viele, für viele Gegner auch, eine gute Verheißung, die auf inneren Frieden und gute Zeiten hindeutete. Und die Anfänge schienen dem recht zu gebe.
Doch war in mir kein gutes Gefühl des Kommenden …“
(Friedrich Georg Jünger, Spiegel der Jahre, 1980, S. 180)


Bevor ich mich dem historischen Tag selbst zuwende, soll das Äquinoctium 1932/33 des historischen Jahres betrachtet werden. 
Doch davor ist als mächtiger Hintergrund zu begreifen, was da von lange her auf den Wellen der Siebenjahresrhythmen, der Septare/Solare der Königskonjunktion im Erdelement, unterwegs war. Und es soll nicht einmal Berlin oder sonst ein Ort auf der Nordhalbkugel betrachtet werden, sondern das Geschick für die ganze Nordhalbkugel:
























19. Septar Königskonjunktion Erde
17.7. 1820,  UTC 8:35
gültig für 1928 – 1935

Das 19. Septar, in dessen Zeitraum der 30. Januar 1933 fällt, zeigt eine Seltenheit, die sich einmal in 172 Jahren am Himmel ereignet: die Konjunktion Uranus/Neptun. Und sie ist – Seltenheit der Seltenheiten - in Quadratresonanz verbunden mit der Konjunktion Pluto/Jupiter.
Und die Resonanz von Pluto, Neptun und Uranus zog sich über einen Zeitraum von fünf Jahren von 1818 -1822 hin, das bedeutet  in der Vergrößerung der Siebener-Schwingung 5x7= 35 potentiell furchtbare Jahre : 1914 -1949.

Mit Neptun ist die „Nullpunkt-Situation“, das Ende einer alten und der Anfang, das Kinderstadium einer neuen Zeitgestalt, eines neuen Sinns, angezeigt.


Uranus weist daraufhin, dass aus dem Chaos des Endes/Anfangs (= der Fische) der Umriss einer neuen Gestalt geschöpft (Uranus = Symbol Schöpfrad) wird. Uranus bedeutet „Ursprung“ im Unterschied zu Neptun/Fische, die auf den psychischen Zustand völliger Unbewusstheit, und damit ungeteilter Vollständigkeit hinweisen. 

Das heißt psychologisch: nach dem anfänglichen Beieinandersein aller Gegensätze noch vor jeglicher Teilung, Trennung, Polarisierung,  hat im Zustand Uranus/Wassermann die Ganzheit eine erste Trennung erfahren, so wie am zweiten Schöpfungstag die Wasser über dem Himmel von den Wassern unter dem Himmel getrennt wurden.

Diese zwei nun, Neptun und Uranus stehen im Schützen. Somit zielt ihr Hinweis,  Auflösung und Ursprung, auf den Bereich, wo Schütze-Herrscher Jupiter steht. Jupiter aber steht in den Fischen, somit heißt das abermals: Chaos, Auflösung, Kindwerdung, neue Zeit, neuer Sinn, neue geahnte Erlösergestalt. 

Die Deutung von Fische/ Neptun auf „Kind“ ergibt sich daraus, dass der Tierkreis, als archetypischer Maßkreis im Urzeigersinn aufsteigend mit den Fischen beginnt. In unseren ersten sieben Jahren sind wir alle "Fische". Nie ist der Mensch Gott näher.

Der im  Tierkreis mit dem Sonnenlauf durch die Zeichen rechts-drehende Rhythmus des „Sinns“ bringt die unbekannte Gestalt hervor - theologisch gesprochen - den  „Geist Gottes“, der „über den Wassern schwebt“, psychologisch gesprochen aus dem  „Kollektiven Unbewussten“, den neuen Sinn, der aufsteigt - noch namenlos - wie Dunst.

Die gleichzeitige Folge der Tierkreiszeichen, von Osten gesehen absteigend in der Jahresfolge der Monate, gegen den Uhrzeiger, zeigt den materiellen Aufbau. Bei ihr beginnt der "Anfang" mit dem Schafszeichen Widder, dem „Schafland“, dessen Symbol C.G.JUNG als „Kinderland“ deutet.

Beide Zeichen, Fische und Widder sind Kinderzeichen, beide grenzen an den Nullpunkt  im Tierkreis: das Kindmotiv. Und ihre Herrscher Neptun und Mars sind psychologisch brisant. Warum? Überlassen wir JUNG die Deutung (Psychologie und Alchemie, Ges. W. S. 79):
Der Weg beginnt im Kinderland, das heißt in jener Zeit, wo sich das rationale Gegenwartsbewusstsein noch nicht von der historischen Seele, dem kollektiven Unbewussten, getrennt hat. Die Trennung ist zwar unvermeidlich, führt aber zu einer solchen Entfernung von jener dämmerhaften Vorzeitpsyche, dass ein Instinktverlust eintritt. Die Folge davon ist Instinktlosigkeit und damit Desorientierung in allgemein menschlichen Situationen. Die Abtrennung hat aber auch zur Folge, dass das „Kinderland“ definitiv infantil bleibt und damit zu einer ständigen Quelle kindischer Neigungen und Impulse wird. Natürlich sind diese Eindringlinge dem Bewusstsein höchst unwillkommen, und es verdrängt sie deshalb Folgerichtigerweise. Die Folgerichtigkeit der Verdrängung dient aber bloß zur Herstellung einer noch größeren Entfernung vom Ursprung und vermehrt daher die Instinktlosigkeit bis zur Seelenlosigkeit. Infolgedessen wird das Bewusstsein entweder von Kindischkeit völlig überschwemmt, oder es muss sich ständig mit zynischer Greisenhaftigkeit oder mit verbitterter Resignation fruchtlos gegen sie verteidigen. Es muss daher eingesehen werden, dass die vernünftige Einstellung des Gegenwartsbewusstseins trotz ihren unleugbaren erfolgen in vielen menschlichen Hinsichten kindisch unangepasst und darum lebenswidrig geworden ist. Das Leben ist vertrocknet und gehemmt und verlangt infolgedessen nach der Auffindung der Quelle. Die Quelle aber kann nicht aufgefunden werden, wenn sich das Bewusstsein nicht dazu bequemt, ins „Kinderland“ zurückzukehren, um dort, wie früher, die Weisungen vom Unbewussten zu empfangen. Kindisch ist nicht nur, wer zu lange Kind bleibt, sondern auch, wer sich von der Kindheit trennt und meint, dass das, was er nicht sieht, nicht mehr existiere. Wer aber ins „Kinderland“ zurückkehrt, verfällt der Angst, kindisch zu werden, weil er nicht weiß, dass alles ursprünglich Seelische ein doppeltes Gesicht hat. Das eine schaut vorwärts, das andere schaut zurück. Es ist zweideutig und darum symbolisch, wie alle lebendige Wirklichkeit.
Im Bewusstsein stehen wir auf einem Gipfel und meinen Kindischerweise, der weite Weg nach größeren Höhen führe über den Gipfel hinaus. Das ist die chimärische Regenbogenbrücke. Um zum nächsten Gipfel zu gelangen, geht man zuvor hinunter in das Land, wo die Wege erst anfangen, sich zu scheiden.
Es ist, glaube ich, nirgendwo wie in den westlichen Zivilisationen, ein so problematischer Zustand, wenn im Zeichen Neptuns, der Archetypus des Kindes konstelliert ist, noch dazu in einem Sinne, wo vom Herrscher Jupiter, in dessen „Auftrag“ Neptun und Uranus wandern, ausdrücklich bestimmt ist: „zurück an den Anfang“, da er eben in den Fischen steht.

Wie macht es eine Industriegesellschaft, wenn die Archetypen, die " Sterne" einen Neuanfang, Kindwerdung, anzeigen und keiner weiß wie und wohin mit der Ergriffenheit? Der Archetyp ist konstelliert heißt, er sammelt die Faszinierten. Das Massenschicksal sucht sich den Massenführer. Wer traut sich den Massenführer zu? Nur ein Wahnsinniger. Er fährt die untergehende Zeit an die Wand. Das ist der unbewußte, der nicht -individuierte Weg, den Untergang und Neubeginn zu leben.

Also, Chaos der Auflösung, Fische als letztes Zeichen  und Widder - des Neubeginns. Was aber können all die kindfernen, alltagsvernünftigen Erwachsenen mit dieser Konstellation anfangen, die ihnen vom Wandel der Archetypen vorgezeichnet wird? Die Archetypen kommen immer zu ihrem Ziel. JUNG hat sie "Urstromtäler des Lebens" genannt - weil das Wasser, Gleichnis der Libido=Lebensenergie,  immer dem natürlichen Gefälle folgt.
Die Konstellation des 19. Septars  in den Fischen zeigt nun  Verhängnis und böse Verlockung: Jupiter Konjunktion Pluto.  Sie zeigt an, was aufgelöst und neu - besinnt werden soll. Pluto zeigt: es sind die (alten) Opferrituale, Ideologien, es sind die alten Fanatismen und Jupiter zeigt: es sind die alten Regisseure. 

Jupiter in den Fischen führt also seinen Gehalt, seine Gäste mit sich: Uranus/Neptun . Das heißt, es ist ein erneuerter, weitblickender Sohn des Volkes konstelliert = angezeigt, der das noch -nicht- Versuchte (Symbol "Kind") im Reisegepäck hat.

Das Prinzip der Astrologie ist ja ein Spiegelprinzip, das da lautet: wie oben so unten.

Das Kommando des Jupiter in den Fischen, das er Neptun/Uranus in seinem Zeichen Schütze gibt, heißt: „gehet dahin, wo ich stehe" folglich zurück vor den Ursprung. Dieser psychische Sinn (oben) spiegelt sich in realer Situation (unten),  einer ganzen Zivilisation, deren Wege nicht mehr vorwärts weisen ...

Erster Weltkrieg, Revolution, Inflation, Wirtschaftskrise. Internationale, kollektive Ausgeburten von Gier, Neid, Eitelkeit und Blindheit von Millionen einzelner in den paradoxen Situationen wachsender gegenseitiger Abhängigkeit. Wenn der Fluss des Lebens, der psychische, wie der reale, nicht mehr vorwärts führt, weil er gestaut ist, fließen die Wasser rückwärts der Quelle zu: „Regression“,  Rückschritt zu überwundenen, primitiveren Zuständen von Seele, Welt, Konflikt und Lösung.

Zeigte die gegebene Planetenkonstellation nun an der Quelle, in den Fischen, mit Jupiter den „Sohn“, der alles versteht  und den „Wächter“ der die Kette der Generationen zu erhalten weiß im Zeichen Plutos, so ist die Rettung, ein neuer Anfang,  gewiss, aber nur, wenn die Einzelnen sich auf dem Weg ihrer Individuation, das heißt allein, und zu zweit auf den Weg zurück zur Quelle begeben. - Alle  konstellierten Inhalte des Unbewussten erscheinen den Zeitgenossen  projiziert. Er erblickt seine eigenen Inhalte, er erblickt seine Gier, seine Tücke, seine Mißgunst außen am anderen, am Nachbarn.

Wenn die Kindwerdung in den Einzelnen im Unbewußten verbleibt, dann projiziert ihr Unbewusstes ihnen einen äußeren "Erlöser" ,der alles neu macht,  es macht sich nämlich auf die Suche und findet ihn, das heißt sie  begegnen dem "Heiland". Ob in Tibet oder Deutschland - das Unbewußte findet den Lama. Aber die Deutschen der dreißiger Jahre waren keine friedlichen Buddhisten ...
Es sind ja sind die Archetypen, Jung hat immer wieder darauf hingewiesen, in ihrer Richtung neutral, d.h. sie enthalten die Möglichkeit zum Guten, wie zum Schlimmen, zum Höchsten, wie zum Tiefsten. Um zu verstehen, warum unter ihrer Wirkung die Welt in eine so unabsehbare Katastrophe gewandert ist, muss der Zeitfaktor in die Betrachtung einbezogen werden. Es sind ja die von der Sonne entferntesten, „langsamsten“ Planeten, die hier zum gemeinsamen Schicksalskonzert aufspielen. Ihr Konstelliertsein in den Septaren erstreckte sich eben fatalerweise über denZeitraum von tragischen 35 Jahren, wie die folgenden Zeichnungen sichtbar machen. Gehen wir noch einmal vor den oben gezeigten Zeitraum  (19. Septar s. oben) zurück:
























17. Septar der Königskonjunktion Erdelement
vom 17.7.1818 für 1914 – 1921


18. Septar der Königskonjunktion Erdelement
vom 17.7.1819 für 1921 -1928



20. Septar der Königskonjunktion im Erdelement 
vom 17.7.1821 für 1935 – 1942


21. Septar der Königskonjunktion im Erdelement
vom 17.7.1822 für 1942 - 1949










































Es verdient zuerst festgehalten zu werden, dass ab dem 20. Septar die Neptun/Uranus-Verbindung in den Steinbock eingetreten war, die damit ihre Richtung jetzt vom Steinbockherrscher Saturn erhielt. Das bedeutet zum einen, das „Zurück an den Anfang und Neubeginn“ bezog sich von nun an auf die übergeordnetenKollektive, also vor allem den Staat. Und weil nun Saturn im Widder stand, lautete das Signal jetzt „Ausbruch“ und zwar in die Räume der Nachbarn gemäß dem Standort von Mars in diesem Septar, de Zwillingen.
Im 21. Septar erscheint die Sache dann im neuen Licht, insofernals jetzt Mars direkt in Resonanz – Quadrat und Opposition - beteiligt ist, zum anderen , weil Saturn, im Stier stehend, jetzt das Defensive des Stiers zu bestimmender Macht und Geltung bringt, wovon sich der deutsche Sturm seit Stalingrad vergewissern konnte.

Mars und Venus

Mars in der Waage ist ein Hinweis, dass 1942 – 1949 das offensive Potential im Dienst des Offenseins und der Begegnungsbereitschaft des siebten Zeichens steht. Dieses Offensein und diese Begegnungsbereitschaft sind ja paradoxerweise das unbewusste Naturell des deutschen Erlösers von 1933. Aber der Aszendent ist unbewusst, Trieb, Instinkt,





In Waage ASC haben wir die bewusstseinsferne, die unbewusste Waage, die dem Bewusstsein fehlende Waage-Venus.
20.4.1889, Braunau, der Undenkbare:


…mit dem Instinkt des Ästheten und dem Bewußtsein des hungrigen Treibers – Mars mit großer Beute - Treiber, dem die Venus fehlt - die er zerhaut bei der Zerstörung von Städten auf seinen nomadischen Wegen …


In Henry Miller haben wir exemplarisch die bewusste Waage, 26.12.1891, Yorkville NY, auf dem hohen Weg der Venus …
Nur vom Aszendenten Widder kommt die Medizin: Waagebewusstsein, Venusweg. Henry’s Venus väterlich gnostisch im zehnten Haus („Am Anfang war das Wort…") mit großer Auslieferung symbolischer Resonanzmedizin im siebten Haus des Widder: körperliche Freiheiten, juckende Schleimhäute, introvertierter Mars und Anima Luna, all die ungelebte wilde Liebe auf dem Planeten.
Henry Miller, Dezember 1934 im Brief an Anaïs Nin:
Heute Abend lief ich dem Mann in die Arme, der zu Halasz [Brassai] gesagt hatte, mein Buch (Wendekreis des Krebs) sei <Pornographie>- erinnern Sie sich? Jetzt war er der entgegengesetzten Ansicht und meinte, ich sei bis zum innersten Kern der Wahrheit vorgestoßen; sagte, er empfehle das Buch seinen Freunden in England und war der Meinung, es müsse sich dort gut verkaufen lassen. Sie können sich vorstellen, dass ich nicht wenig erfreut war. Nicht zuletzt, weil ich einmal mehr sehe, dass es Menschen gibt, die sich ohne Druck von außen zum richtigen Denken bekennen. Ich habe keinen Kampf auszufechten. (Miller, Briefe an Anais Nin, 1981, S. 186. 4.12.1934).

Und in der Zeit, wo der Waage-Aszendent mit der Staatspeitsche von Blut und Boden phantasiert, schreibt Widder-Aszendent und Gegenmedizin Henry Miller 1934 über die Herrenrasse:
Meine Leute waren alle nordischer Abkunft, mit anderen Worten: Idioten. Allen Blödsinn, der je verkündet wurde, machten sie sich zu Eigen. Darunter die Lehre von der Sauberkeit, von der Rechtschaffenheit ganz zu schweigen. Sie waren peinlich sauber. Aber innen stanken sie. Kein einziges Mal fiel es ihnen ein, blindlings einen Sprung ins Dunkle zu tun. Nach Tisch wurden die Teller prompt abgespült, und in den Geschirrschrank gestellt; war die Zeitung gelesen, wurde sie sauber gefaltet und auf ein Regal gelegt; war die Wäsche gewaschen, wurde sie gebügelt, gefaltet und in die Schubladen verstaut. Immer dachte man an morgen, aber das Morgen kam nie. Die Gegenwart war nur eine Brücke, und auf dieser Brücke stöhnen sie noch, so wie die ganze Welt stöhnt, und keiner dieser Dummköpfe kommt darauf, die Brücke in die Luft zu sprengen…
Ich bin ganz aus dem Stoff der stolzen ruhmredigen nordischen Rasse, die nie den geringsten Abenteurergeist besessen, aber dennoch die ganze Erde durchwühlt, sie auf den Kopf gestellt und überall ihre Spuren und Ruinen hinterlassen hat. Ruhelose Geister, aber keine Abenteurer. Gequälte Geister, unfähig, in der Gegenwart zu leben. Elende Feiglinge alle, mich nicht ausgenommen. Denn es gibt nur ein großes Abenteuer, das innere Abenteuer der Suche nach unserem Selbst, und dabei spielen weder Zeit noch Raum, ja nicht einmal Taten eine Rolle.
Alle paar Jahre war ich dieser Entdeckung ganz nahe, aber – und das war für mich bezeichnend – es gelang mir immer, der Entscheidung auszuweichen. Wenn ich nach einer guten Entschuldigung suche, fällt mir nur meine Umgebung ein, die Straßen, die ich kannte, und die Menschen, die in ihnen wohnten. Ich wüsste in Amerika weder eine Straße noch in ihr wohnende Menschen, die einen zu dieser Entdeckung des Selbst hinführen könnten. Ich bin über die Straßen vieler Länder gewandert, aber nirgendwo habe ich mich so gedemütigt und erniedrigt gefühlt wie in Amerika. Ich denke an all die Straßen Amerikas, die zusammen eine riesige Senkgrube bilden, eine Senkgrube des Geistes, von der alles verschlungen und weggeschwemmt wird zur ewigen Scheiße. Über dieser Senkgrube schwingt der Geist der Arbeit seinen Zauberstab: Paläste und Fabriken schießen nebeneinander in die Höhe und Munitionsfabriken und chemische Werke und Stahlwerke und Sanatorien und Gefängnisse und Irrenhäuser. Der ganze Kontinent ist ein einziger Albtraum, der das größte Elend für die größte Zahl produziert. Ich war auch eine Zahl, eine Nummer mitten im größten Rummel von Reichtum und Glück (statistischem Reichtum, statistischem Glück), doch nie begegnete ich einem Menschen, der wirklich reich oder wirklich glücklich gewesen wäre.“ (Wendekreis des Steinbocks, 1964, S. 11f.)
Jeder, der durch zu große Liebe, die doch widernatürlich ist, an seinem Unglück stirbt, wird wiedergeboren, um weder Liebe zu kennen noch Hass, sondern um zu genießen. Und diese Lebensfreude ist, da sie auf unnatürliche Art erworben wurde, ein Gift, das schließlich die ganze Welt verdirbt. Alles, was jenseits der normalen Grenzen menschlichen Leidens geschaffen wird, wirkt als Bumerang und bringt Zerstörung mit sich. Nachts spiegeln die Straßen von New York die Kreuzigung und den Tod Christi wieder. Wenn Schnee liegt und äußerste Stille herrscht, dringt aus den scheußlichen Bauten New Yorks eine Musik von so dumpfer Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, dass man eine Gänsehaut kriegen kann. Kein Stein wurde mit Liebe oder Achtung auf den anderen gelegt; keine dieser Straßen für Tanz oder Freude gebaut. Eines wurde ans andere gefügt in einem wilden Drang, sich den Bauch Vollzuschlagen, und die Straßen riechen nach leeren Bäuchen und halbvollen Bäuchen. Die Straßen riechen nach einem Hunger, der nichts mit Liebe zu tun hat; sie riechen nach einem Bauch, der unersättlich ist, und nach den Schöpfungen des leeren Bauches, die null und nichtig sind. (S. 63f.)
Henry zieht, wie jeder individuierte Träumer - auch in Amerika - für eine entscheidende Zeit seiner Heimat die Fremde vor, um sich seiner eignen Menschenkontour versichern zu lernen. Mir ist er mit seinem den - Uranus –in- sich – schöpfen lassen, und zugleich ihn, „den Fremden“, in der Welt aufsuchen, wo ihm fremde Landschaften zu Seelenlandschaften werden - Henry Miller im Paris der dreißiger Jahre, Henry Miller 1939 in Griechenland … mir ist er einer meiner Troststerne, ein wirklicher Vater der der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts voranging:
Der Tag begann in tiefstem Frieden. Es war mein erster wirklicher Blick auf den Peloponnes. Es war aber nicht ein Blick, sondern eine Aussicht auf eine stille Welt, eine Welt, wie sie dem Menschen eines Tages beschieden wird, wenn er aufhört, Mord und Diebstahl zu frönen… die Landschaft weist nicht zurück, sie nistet sich ein in die offenen Kammern des Herzens, sie erfüllt sie, wächst, verdrängt alles andere. Man schreitet nicht länger durch etwas – nenne es Natur, wenn du willst -, sondern nimmt teil an einer Niederlage, an der Niederlage der Mächte wie Gier, Bosheit, Neid, Selbstsucht, Hass, Unduldsamkeit, Stolz, Anmaßung, Gerissenheit, Zweideutigkeit und so weiter.
Es ist früher Morgen, am ersten Tag des großen Friedens, des Friedens des Herzens, der durch Entsagung entsteht. Ehe ich nach Epidauros kam, wusste ich nicht, was Friede ist. Wie jeder Mensch hatte ich mein ganzes Leben lang dieses Wort gebraucht, ohne je zu erkennen, dass ich eine Fälschung beging. Friede ist ebenso wenig das Gegenteil von Krieg, wie Tod das Gegenteil von Leben ist. Die Armut der Sprache, das heißt die Armut der menschlichen Vorstellungskraft oder die Armut unseres Innenlebens hat eine Doppelsinnigkeit geschaffen, die absolut unwahr ist. Ich spreche natürlich von dem Frieden, der höher ist denn alle Vernunft. Es gibt keinen anderen. Der Friede, den die meisten von uns kennen, ist nichts als eine Einstellung der Feindseligkeiten, ein Waffenstillstand, ein Interregnum, eine Windstille, eine Atempause; all das ist negativ. Der Friede des Herzens ist positiv und unbesiegbar, er stellt keine Bedingungen, er benötigt keinen Schutz. Er ist. Wenn das ein Sieg ist, ist es ein eigenartiger Sieg, denn er beruht völlig auf einem freiwilligen Verzicht. Ich sehe nichts Geheimnisvolles in der Art der Kuren, die in diesem großen therapeutischen Zentrum der antiken Welt vollbracht wurden. Hier wurde der Arzt selbst geheilt, es war der erste und wichtigste Schritt in der Entwicklung der Kunst. die nicht medizinisch, sondern religiös ist. Und der Patient wurde geheilt, bevor er überhaupt eine Kur durchmachte. Große Ärzte haben stets die Natur als den besten Arzt bezeichnet. Das ist aber nur zum Teil wahr. Allein kann die Natur nichts tun. Die Natur vermag nur zu heilen, wenn der Mensch seinen Platz in der Welt erkennt, der nicht in der Natur ist wie beim Tier, sondern im Bereich des Menschen, dem Bindeglied zwischen der Natur und der Gottheit.
Den Untermenschen unseres glorreichen wissenschaftlichen Zeitalters wird die Verbindung des Rituellen und des Religiösen mit der Heilkunst, wie sie in Epidauros ausgeübt wurde, als reiner Humbug vorkommt. In unserer Zeit führt der Blinde den Blinden, und der Kranke geht zum Kranken, um sich heilen zu lassen. Wir machen ständig Fortschritte, doch sind es Fortschritte, die zum Operationstisch führen, zum Armenhaus, in die Irrenanstalt, in den Schützengraben. Wir haben keine Ärzte – wir haben nur Metzger, deren Wissen von Anatomie sie zu einem Diplom berechtigt, das sie wiederum dazu berechtigt, unsere Gebrechen herauszuschneiden oder abzuschneiden, so dass wir uns als eine Art Krüppel bewegen, bis wir für das Schlachthaus reif sind. Wir verkünden die Entdeckung dieser oder jener Kur, erwähnen aber nicht die neuen Krankheiten die wir dabei geschaffen haben. Die Ärzte arbeiten ähnlich wie die Kriegsministerien – ihre Siegesberichte sind Betäubungsmittel, um Tod und Katastrophen zu verschleiern. Mediziner sind hilflos wie Feldherren, sie führen von Anfang an einen hoffnungslosen Kampf.
Was der Mensch will, ist Frieden, um leben zu können. Unsern Nachbarn zu besiegen, verleiht ebenso wenig Frieden wie die Behandlung des Krebses Heilung bring. Der Mensch beginnt nicht zu leben, indem er über seinen Feind triumphiert, ebenso wenig erlangt er mit endlosen Kuren Gesundheit. Lebensfreude entsteht durch Frieden, der nicht statisch, sondern dynamisch ist. Kein Mensch kann, ehe er den Frieden erlebt hat, behaupten, er wisse wirklich, was Freude ist. Und ohne Freude gibt es kein Leben, selbst wenn man ein Dutzend Automobile, sechs Butler, ein Schloss, eine Privatkapelle und einen bombensicheren Unterstand besitzt. Wir kranken an unseren Bindungen, seien es Gewohnheiten, Ideologien, Ideale, Prinzipien, Besitztümer, Manien, Götter, Kulte, Religionen und so weiter. Hohe Löhne können ebenso schädlich sein wie niedere Löhne; Muße kann ebenso schlimm sein wie Arbeit. alles, woran wir uns klammern, selbst Hoffnung oder Glaube, kann die Krankheit sein, die uns zur Strecke bringt. Verzicht, Selbsthingabe ist etwas Absolutes: wenn man sich nur an den winzigen Krümel klammert, nährt man den Keim, der einen verschlingt. Und was das sich an Gott anklammern betrifft, so hat uns Gott schon lange verlassen, damit wir erkennen mögen, welche Freude es bedeutet, die Gottheit durch die eigenen Bemühungen zu erlangen. Was soll alles dies Winseln im Dunkeln, dieses ständige, klägliche Flehen um Frieden, das mit dem zunehmenden Jammer und Elend immer stärker wird? Friede – glauben die Menschen wirklich, dass Friede etwas sei, das man aufzustapeln vermag wie Mais und Weizen? Etwas, auf das man sich stürzt und das man verschlingen kann, wie Wölfe es tun, die sich um einen Kadaver balgen? Wenn Leute über den Frieden sprechen, erlebe ich häufig, dass sich ihre Gesichter vor Wut und Hass oder Verachtung und Geringschätzung oder Stolz und Arroganz verzerren. Andere Menschen wollen kämpfen, um den Frieden zu erringen – verblendete Geschöpfe. Es wird keinen Frieden geben, ehe nicht aus Herz und Gemüt jeder Gedanke an Mord ausgemerzt ist. Mord ist die Spitze der breiten Pyramide, deren Basis der Egoismus ist. Das was steht, muss fallen. Alles das, wofür der Mensch gekämpft hat, muss aufgegeben werden, ehe er beginnen kann, als wahrer Mensch zu leben. Bis jetzt ist er ein krankes Tier gewesen, und selbst seine Göttlichkeit stinkt. Er ist nicht der Herr vieler Welten, und in seiner eigenen ist er ein Sklave. Die Welt wird vom Herzen, nicht vom Hirn regiert. Es gibt keinen Bereich, dem unsere Eroberungen nicht den Tod bringen. Wir haben dem Reich der Freiheit den Rücken gekehrt. In Epidauros, in der Stille, in dem tiefen Frieden, der über mich kam, hörte ich das Herz der Welt schlagen. Ich weiß, wo das Heil liegt: entsagen muss man, verzichten muss man, sich aufopfern, auf dass unsere kleinen Herzen im Gleichklang mit dem großen Herzen der Welt schlagen…
Allenthalben führt der Psychoanalytiker einen hoffnungslosen Kampf. Für jeden Menschen, den er dem Leben geheilt wieder zuführt, „anpasst“, wie sie es nennen, gibt es ein Dutzend Ungeheilter. Es wird nie genügend Psychoanalytiker geben, Ganz gleich, wie rasch wir sie produzieren. Ein kurzer Krieg genügt, um das Werk von Jahrhunderten zu vernichten. Die Chirurgie wird natürlich weitere Fortschritte machen, aber es fällt schwer, zu erkennen, wozu das gut sein soll. Wir müssen unsere ganze Lebensart ändern. Wir brauchen keine besseren chirurgischen Instrumente, wir brauchen ein besseres Leben. Wenn alle Chirurgen, alle Psychoanalytiker, alle Ärzte von ihrer Tätigkeit weggeholt werden könnten und sich für eine Weile im Amphitheater in Epidauros versammelten, wenn sie in Ruhe und Frieden die dringenden Bedürfnisse der Menschheit eingehend erörtern könnten, würde die Antwort sehr rasch erfolgen, sie würde einstimmig lauten: REVOLUTION – eine Weltrevolution von oben bis unten, in allen Ländern, allen Klassen, in jeder Schicht des Bewusstseins. Der Kampf gilt nicht der Krankheit, Krankheit ist ein Nebenprodukt. Der Feind des Menschen sind nicht die Bazillen, sondern der Mensch selbst, seine Eitelkeit, seine Vorurteile, seine Dummheit, seine Arroganz. Keine Klasse ist immun, kein System bietet ein Allheilmittel. Jeder Einzelne müsste sich gegen eine Lebensart auflehnen, die nicht die seine ist. Diese Revolution müsste ununterbrochen und unnachgiebig geführt werden, um wirksam zu sein. Es genügt nicht, Regierungen, Herrscher, Tyrannen zu stürzen, man muß seine eigenen voreingenommenen Ideen von Recht und Unrecht, gut und böse, gerecht und ungerecht über Bord werfen. Wir müssen die hart umkämpften Schützengräben, in die wir uns eingegraben haben, verlassen und hinaus ins Freie stürmen, unsere Waffen übergeben, unsere Besitztümer, unsere Rechte als Individuen, als Klasse, als Nation, als Volk. Eine Milliarde Menschen, die Frieden anstreben, können nicht versklavt werden. Wir haben uns selbst versklavt durch unsere kleinliche, beschränkte Lebensanschauung. Es ist zwar rühmlich, sein Leben für ein Ideal hinzugeben, aber tote Menschen vermögen nichts zu vollbringen. Das Leben heischt, dass man ihm mehr darbietet – Geist, Seele, Intelligenz, guten Willen. Die Natur ist stets bereit, die durch Tod geschaffenen Lücken zu füllen, aber die Natur vermag nicht die Intelligenz, den Willen, die Phantasie zu liefern, um die Macht des Todes zu besiegen. Die Natur ersetzt und erneuert, das ist alles. Es ist die Aufgabe des Menschen, den Mordinstinkt auszurotten, der in seinen Verflechtungen und Äußerungen grenzenlos ist. Es ist nutzlos, Gott anzurufen, so wie es zwecklos ist, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Jede Schlacht ist ein in Blut und Qual ersonnener Bund, jeder Krieg ist eine Niederlage des menschlichen Geistes. Der Krieg ist nichts als eine große Manifestation im dramatischen Stil der betrügerischen lächerlichen Streitigkeiten, die sich täglich und überall abspielen, sogar in den so genannten Friedenszeiten. Jeder Mensch trägt sein Teilchen dazu bei, die Metzelei im Gange zu halten, selbst jene Menschen, die abseits zu stehen scheinen. Wir alle sind hineinverwickelt, wir alle nehmen daran teil, nolens volens. Die Erde ist unsere Schöpfung, und wir müssen die Früchte unserer Schöpfung hinnehmen. Solange wir uns weigern, in Ausdrücken wie Weltgüte und Weltgüter, Weltordnung und Weltfriede zu denken, werden wir einander verraten und morden. Das kann weitergehen bis zum jüngsten Gericht, wenn wir es so wollen. Nur unser eigener Wunsch kann uns eine neuere und bessere Welt bescheren. Der Mensch tötet aus Furcht, und die Furcht ist eine Hydra. Fangen wir erst an zu morden, gibt es kein ende, eine Ewigkeit würde nicht genügen, die Dämonen zu besiegen, die uns quälen. Wer war es, der die Dämonen einführte? das ist eine Frage, die sich jeder selbst stellen muß. Jeder von uns erforsche sein Gewissen. Weder Gott noch der Teufel sind dafür verantwortlich, und bestimmt nicht so kümmerliche Ungeheuer wie Hitler, Mussolini, Stalin und Kumpane, und auch bestimmt nicht solche Schreckgespenster wie Katholizismus, Kapitalismus, Kommunismus. Wer hat die Dämonen in unser Herz versenkt um uns zu quälen? Eine treffende Frage, und wenn der einzige Weg, die Antwort zu finden, der ist, nach Epidauros zu gehen, dann fordere ich euch alle, einen wie den anderen, dringend auf, alles hinzuwerfen und dorthin zu gehen – sofort! …
Das Bild Griechenlands, so verblasst es auch sein mag, besteht noch immer als Archetypus des vom menschlichen Geist bewirkten Wunders. Ein ganzes Volk stieg, wie es die Spuren seiner Leistungen bezeugen, zu einem Gipfelpunkt empor, der weder vorher noch seither je wieder erreicht wurde. Es war ein Wunder, es ist es noch immer. Die Aufgabe des Genies (und der Mensch ist nichts, wenn er kein Genie ist) besteht darin, das Wunder lebendig zu halten, stets in dem Wunder zu leben, das Wunder immer wunderbarer zu gestalten, nichts und niemandem Treue zu geloben, sondern nur wundervoll zu leben, wundervoll zu denken, wundervoll zu sterben. es macht wenig aus, wie viel der Vernichtung anheim fällt, wenn nur der Keim des Wunderbaren bewahrt und genährt wird. In Epidauros steht man den unfassbaren Zeugnissen des wunderbaren Aufschwungs menschlichen Geistes gegenüber und wird von ihnen durchdrungen. Man wird davon benetzt, wie von den Spritzern einer mächtigen Woge, die sich schließlich am fernen Ufer bricht. Heutzutage konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf die unerschöpflichen Reichtümer des physischen Weltalls; wir müssen alle unsere Gedanken auf diese unerschütterliche Tatsache richten, denn nie zuvor hat der Mensch in einem solchen Maße wie heute geplündert und verwüstet. Deshalb neigen wir dazu, zu vergessen, dass es im Reiche des Geistes ebenfalls eine Unerschöpflichkeit gibt, dass in jenem Reich niemals ein Gewinst verloren geht. In Epidauros wird diese Tatsache zur Gewissheit. Die Welt mag sich biegen und brechen vor Bosheit und Haß, doch hier, ganz gleich, was für einen Orkan wir mit unseren bösen Leidenschaften entfesseln, hier erstreckt sich ein Gebiet des Friedens und der Ruhe, die reine, geläuterte Erbschaft einer Vergangenheit, die nicht völlig verloren ist.
(Miller, Koloss von Maroussi, S, 76 – 84)
In jeder Hinsicht zeigte sich mir Griechenland als der wahre Mittelpunkt des Weltalls, als der ideale Treffpunkt von Mensch zu Mensch in Gegenwart Gottes…Griechenland hatte aus mir einen freien, einen ganzen Menschen gemacht. Ich war bereit, dem Drachen zu begegnen und ihn zu töten, denn in meinem Herzen hatte ich ihn schon getötet. Ich ging umher wie auf Samt, huldigte und dankte schweigend der kleinen Gruppe von Freunden, die ich in Griechenland gewonnen hatte. Ich liebe diese Menschen, alle und jeden, weil sie mir die wahren Dimensionen des Menschen enthüllt haben. Ich liebe den Boden, auf dem sie wuchsen, den Baum, dem sie entsproßten, das Licht, in welchem sie blühten, die Güte, die Redlichkeit, die Hilfsbereitschaft, die sie ausströmten. Sie brachten mich von Angesicht zu Angesicht mit mir selbst, sie reinigten mich von Haß und Eifersucht und Neid. Und nicht das Unwichtigste: sie zeigten mir durch ihr Beispiel, dass das Leben in jedem Maßstab, in jedem Klima, unter jeder Bedingung großartig gelebt werden kann. Allen, die glauben, das heutige Griechenland habe keine Bedeutung, möchte ich sagen, dass es keinen größeren Irrtum gibt. Heute wie ehedem ist Griechenland von größter Bedeutung für jeden Menschen, der sich selbst zu finden sucht, Meine Erfahrung ist nicht einzigartig, und ich möchte noch hinzufügen, dass kein Volk der Erde das, was Griechenland zu bieten hat, so dringend benötigt wie das amerikanische Volk. Griechenland ist nicht nur die Antithese Amerikas, sondern viel mehr, es ist die Erlösung von all den Übeln, die uns plagen. Wirtschaftlich mag es unbedeutend sein, aber geistig ist Griechenland noch immer die Mutter aller Völker, die Quelle der Weisheit und der Erleuchtung. Koloss, S. 198
Der stärkste Eindruck, den mir Griechenland hinterließ, ist wohl der, dass es eine Welt von menschlichem Format ist. Frankreich vermittelt ebenfalls diesen Eindruck, aber das ist etwas anderes; etwas tiefgehend anderes. Griechenland ist die Heimat der Götter; sie mögen gestorben sein, aber ihre Anwesenheit macht sich immer noch bemerkbar. Die Götter hatten menschliche Formen, wurden aus dem menschlichen Geist geschaffen. In Frankreich ist, wie überall im Abendland, dieses Band zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen gerissen. Die Skepsis und die Lähmung, die durch diese Spaltung in der Natur des Menschen entstand, erklären die unabwendbare Vernichtung unserer gegenwärtigen Kultur. Wenn die Menschen aufhören zu glauben, dass sie eines Tages Götter werden, bleiben sie für immer Würmer. Es ist viel über eine neue Lebensordnung geredet worden, die auf dem amerikanischen Kontinent entstehen soll. Man muß sich aber darüber im klaren sein, dass vorerst noch nicht einmal ein Anfang davon zu sehen ist. Die gegenwärtige Lebensweise Amerikas ist ebenso zum Untergang verdammt, wie die Europas. Kein Volk auf Erden vermag eine neue Lebensordnung zu schaffen, wenn diese nicht vom Gesichtspunkt des Universums aus entsteht. Wir haben durch bittere Irrtümer gelernt, dass alle Völker der Erde lebenswichtig miteinander verbunden sind, aber wir haben von dieser Erkenntnis keinen vernünftigen Gebrauch gemacht. Wir haben zwei Weltkriege erlebt, und wir werden zweifellos einen dritten und einen vierten, wahrscheinlich noch mehrere erleben. Es kann kann keine Hoffnung auf Frieden geben, wenn nicht die alte Ordnung vernichtet wird. Die Welt muß wieder klein werden, wie die alte griechische Welt – so klein, dass sie Jedermann umfasst. Wenn nicht alle Menschen bis zum letzten dazu gehören, wird es keine richtige menschliche Gesellschaft geben. Mein Verstand sagt mir, dass es lange dauern wird, bis dieser Zustand erreicht wird, aber mein Verstand sagt mir auch, daß nichts anderes den Menschen je zufrieden stellen kann. Solange der Mensch nicht voll und ganz Mensch geworden ist, solange er nicht lernt, sich wie ein Erdwesen zu benehmen, wird er weiterhin Götter schaffen, die ihn vernichten. (Miller, Koloss, S. 222)
(Fortsetzung folgt)
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