Dienstag, 4. August 2009

Von Liebe und Pleroma



Er hatte Anfang März sein Zeugnis mit den drei Einsern zum Studienabschluß, Lehramt Haupt- und Realschulen, ausgehändigt bekommen. Und war nun in die Leere gefallen.

Nach der Trennung von der Verlobten, ein Jahr vorher, war der nagende Verlust aufs Angenehmste von geistiger Arbeit überlagert gewesen. Er war daher in diesem Jahr nicht auf Brautschau gegangen sondern hatte, zusammen mit seinem klugen Freund, die monatelange gemeinsame gedankliche Vertiefung genossen, mit der sie seine Abschluß-Arbeit in Philosophie, „Entfremdung und Freizeit“, vorangebracht und vollendet hatten.

Aber nun mit dem Märzanfang war das vorbei gewesen.

Also Öde seitdem und Leere in Herz und Hirn und bald darauf zufällig eine Nacht mit einer Rosemarie, einer nach 15 Jahren wieder getroffenen, braven Bürgerstochter, damals ein paar Häuser weiter wohnend, ohne dass er in den Kindertagen je mit ihr zu tun gehabt hatte …

Ach ja, der nächtliche Beischlaf und dann der Morgen nach dieser Nacht und dann das gemeinsame Frühstück an diesem Morgen – worüber mit ihr reden? Sie kam langweilig daher und brav und lauwarm und sie ging ihn nichts an.…

… und noch am selben Nachmittag war er an der Autobahn nach Frankfurt gestanden, auf dem Weg zu einem künftigen Freund … und schon einen Abend später tanzte eine unbekannte Frau mit dunklen Haaren in ihn hinein.

Was da in dieser Ami-Kneipe in Hanau irgendwann beim Soul geschah, ein dunkler Blitz, unvermutet einschlagend in ihnen, die auf einige Armlängen entfernt, einander nicht berührend, tanzten, der zugleich und urplötzlich - und offenbar in ihr auch – einen Abgrund von Rausch und Liebe aufriss ... und der Schüchterne tanzte ohne Aufhebens auf sie zu und küsste sie ohne dass sie zu tanzen aufhörten ...

Die Woche die dieser Nacht folgte, verbrachten sie im Kokon, in dem Seide für Teppiche in der Ewigkeit gesponnen wird.

Aber die Tage, Wochen, Jahre die dieser Woche folgten, sie konnten dieser schweigenden Raserei diesem unsagbar stillen Wahn niemals wieder nahe kommen.

Eine Liebe, die sich in einer Woche erfüllt hat.

Später, als er schon 23 Jahre hingegeben verheiratet war, hat er einmal eine Frau getroffen auf einer Bahnfahrt, mit der das Segeln durchs Pleroma wieder einmal zwei unendliche Stunden dauerte, bis sie aussteigen musste auf dem Weg zu ihrer Familie. Zugleich ein erstes und letztes Mal umarmten sie sich beim Abschied einen endlosen Moment und atmeten für Sekunden den nun vergessenen Duft des unbekannten Nackens ein.

Beide Frauen waren unter einer Sonne im Zeichen des Krebses geboren.

Von dem Moment an aber, als er der Frau begegnete war, die nicht wie ein Blitz, sondern wie ein langsames Erwachen in ihn eingewandert war, und er in sie, von da an war in ihnen dieses befreite Ahnen von unendlichen Tagen, die für sie vorgesehen waren.

Gespeichert: 4.8.2009, UTC: 12:29, gepostet: 13:07

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