Donnerstag, 4. Oktober 2012

Negerkirche aus dem Schwarzwald im Murnauer Expressionistenort



 …
Einmal im Jahr, so ist es Mode geworden in Stadt und Land, ist Klubnacht. Es kostet 10 Euro und in 10 und mehr Kneipen und Gaststätten, spielt Lifemusik.
Einmal im Jahr bleibt der Fernseher aus rafft der Zeitgenosse sich auf, geht auf kulturelle Entdeckung. Einmal im Jahr Erinnerung an etwas, was ins normale Leben gehört und dort schon lange fehlt zur seelischen Gesundheit von uns armen Knöpfedrückern.

In meinem  angeblich vom Geist Horvaths, Münters und Kandinskis erfüllten Heimatort, war dazu nicht nur akustisch Gelegenheit, sonder auch optisch und haptisch: es war  „Kunstnacht“. Schon Tage vorher - Murnau  i s t  fast eine einzige Einkaufspassage - wurden die Schaufenster der Geschäfte zu Foto- oder Gemälde-Flächen. Auch in den Parks erschienen in räumlicher Meditation entstandene Objekte, die nicht nur sind, als was sie optisch erscheinen sondern, wie die Bilder in den Schaufenstern,   unsichtbar beseelt.

In einer Kneipe im Zentrum, in der sonst freie Stunden und Feierabende in  ganzjähriger Wirtshaus-Gelassenheit zugebracht werden, dort hatte ein Duo Aufnahme gefunden: zwei Gitarren mit Gesang im Zacherl: Ro Clausman und Groover.  Und Mundanomaniac samt Esel, Gast und Frau saßen seitlich in der „ersten Reihe“.
Ausgemacht waren als "Spielregel" Beginn 20 Uhr. vier Sets und drei Pausen oder drei Sets und zwei Pausen.
Das Duo wählte das erstere. Und spätestens zum dritten Viertel war wohl dem letzten klar, um was es sich an dem Abend handeln würde:
In meinen Worten: unsichtbare Negerkirche mit Exstase, Tanz und Gesang.
In der Pause zum zweiten Viertel, als sich der vorwiegend stehende Teil der Gäste zum nächsten Spielort aufmachte,  blieb schon mal ein ansehnlicher Kreis von entschiedenen Gästen dieser Musik sitzen,   ab dem dritten Drittel war kaum noch ein Durchkommen.

Ro Clausmann, dessen Auftritt Groover,  am eigenen Heimatort begleitete, reproduziert fremdes Material, vorwiegend Country,  normalerweise würde man das nennen: er covert.  Er singt einige zwei Dutzend von den schönsten Oldies der 50ger bis 90ger.

Soweit so banal. Dieser Mensch aber, der  da singt,  ist, darauf ist man nicht gefasst,  ein (un)heimlicher  Gospel–Sänger, innerlich vom Geist ergriffen … laut und leise… in Ballade und wildem Rock, man begreift, was damit gemeint war, als Millionen ab 1957 entdeckten: dieser arme weiße Lastwagenfahrer aus Tupelo, was der da erzählt, singt und heult, aufgenommen  in Memphis, das ist Musik der Schwarzen … einfach, ergreifend und zum Mitsingen in der Gemeinde:

As the snow flies
On a cold and gray chicago mornin
A poor little baby child is born
In the ghetto
And his mama cries
Cause if there's one thing that she don't need
Its another hungry mouth to feed
In the ghetto

People, don't you understand
The child needs a helping hand
Or hell grow to be an angry young man some day
Take a look at you and me,
Are we too blind to see,
Do we simply turn our heads
And look the other way …


Wie ich das erlebe in diese Stunden, was da aus diesem Menschen, der sich Ro nennt,  singt, und wie,  ich empfinde es wie  schwarze Predigt,  wie  Gospel in der Gemeinde:
Ergreifend und ergriffen, dennoch europäisch diszipliniert,  hingegebenes , bewegtes Mitsingen zeugend wie zum Beispiel auch bei diesem:


Well it's all right, riding around in the breeze
Well it's all right, if you live the life you please
Well it's all right, doing the best you can
Well it's all right, as long as you lend a hand

You can sit around and wait for the phone to ring
Waiting for someone to tell you everything
Sit around and wonder what tomorrow will bring
Maybe a diamond ring

Well it's all right, even if they say you're wrong
Well it's all right, sometimes you gotta be strong
Well it's all right, as long as you got somewhere to lay
Well it's all right, everyday is judgement day

Maybe somewhere down the road aways
Youll think of me, and wonder where I am these days
Maybe somewhere down the road when somebody plays
Purple haze

Well it's all right, even when push comes to shove
Well it's all right, if you got someone to love
Well it's all right, everythingll work out fine
Well it's all right, were going to the end of the line

Don't have to be ashamed of the car I drive
Im just glad to be here, happy to be alive
It don't matter if you're by my side
Im satisfied

Well it's all right, even if you're old and grey
Well it's all right, you still got something to say
Well it's all right, remember to live and let live
Well it's all right, the best you can do is forgive

Well it's all right, riding around in the breeze
Well it's all right, if you live the life you please
Well it's all right, even if the sun don't shine
Well it's all right, were going to the end of the line



Aus dem Südschwarzwald ist er dieser prayer, ein echter ganz leicht zerzauster dunkelblonder Vogel,  dabei in Demut diszipliniert,  sanft verrückt wie ein früher Christ, bescheiden freundlich wie ein alter Chinese.
Und auf der Gitarre gibt Ro derart Zunder dass  die Füße von Beginn an leise vor sich hintoben .
Und   Mundanomaniac, staunend, fragt ihn in der ersten Pause ob er „heute Geburtstag“ habe. Ro: „Nein, hatte  am Samstag“.
Also vor drei Tagen, dachte sich  Mundanomaniac, da muss er einfach ein paar Grad nach seiner Sonne einen  Mars oder was stehen haben, den heute die Sonne besucht, seine sowieso  fetzige Rhythmus- und Sologitarre  und dann dieser Zunder heute Abend … heute hat Mundanomaniac nachgeschaut:






 Der Gitarrist und Sänger Ro Clausmann (Ausschnitt)* 29.9.1957

Dreimal Feuer, dreimal Lust: am Stürmen, am Spielen und an der Offenbarung.




Und dazu der Abend: Sonne 9,9° Waage


Im zweiten Set, gleich am Anfang, singt er von einem Mann der auf dem Fussel- Baum sitzt und den es juckt  …

 A well I bless my soul
What's wrong with me?
I'm itching like a man on a fuzzy tree
My friends say I'm actin wild as a bug
I'm in love
I'm all shook up
Mm mm oh, oh, yeah, yeah! …



Und dabei tanzt die Gitarre wie eine bekiffte Grille die aber, äußerlich völlig  elegant unglaublich gekonnt  und trocken auf und nieder springt und Mundanomaniacs Esel hält es nicht, er schlüpft durch die Sitzreihen auf die Tanzfläche und muss den Hüpf- und Stampftanz mit-tanzen, … ein alter  Esel auf dem Dorfplatz – das wurde später anders, es wurde leidenschaftlich und eng auf der Tanzfläche … leidenschaftlich aber nicht zwischen den Geschlechtern sondern von der  Ergriffenheit vom ... Gospel … der Freude:


 

Der andere Gitarrist, Groover,  hat sich seit einigen Monaten an die reizvolle und anspruchsvolle  Aufgabe gemacht,  in der dichten Musik von Ro Clausman  Räume für die rhythmische Begleitung und Lichtungen für Solopassagen zu finden, um sie mit der eigenen Kunst zu füllen.  Ro  läßt in seinem  dynamischen Rhythmusspiel für eine zweite Rhythmusgitarre kaum Platz und ebenso ist er mit eigenen Soli gut eingedeckt. Er deckt selber alles ab … es sei denn, und siehe, er geht immer wieder dazu über, seinem Partner bewusst Raum einzuräumen  zum grooven und  ziselieren , der er doch selber Groover und Ziselierer ist …
Was sie sich tun?
Hier ein Ausschnitt zu Groover * 18.7. 1958









Ist es nicht klar? Hier spielen Tag = Löwenaszendent und Nacht = Krebssonne miteinander und nachdem es so ist, dass der Tag die Nacht frisst und die Nacht den Tag, so ist es eigentlich ein Unding, dass sie zusammen spielen. Jeder nimmt dem anderen den  Raum …und dennoch, sie tun es, sie haben  das Paradox angenommen und führen es durch. Was dazu führt, dass für „das ganze Dorf“, mithin auch die Ohren von MM, Esel und Freunden, einmalige Musik herauskommt. Wenn Groover nämlich Raum in den Hintergründen gefunden hat, dann ist da eine hintergründige Stimmung, dann ist es da wie Waldesrauschen zu den Schritten des Wanderers,  Wind und Brandung zum Rudern des Fischers, Bachmurmeln zur Klage, tanzende Füße zur Freude …, quellende Labe … unsichtbar treibende Seelen-Fahnen im Wind …





Gespeichert 4.10.2012, UTC 17:57, gepostet: UTC 18:51.




1 Kommentar:

  1. So dicht beschrieben - daß einer wähnen könnte, er/sie hätte mitgetanzt!
    Interessant - daß Du die Musiker in ihrer Gegensätzlichkeit horoskopierst!
    Ja - s´geht schon immer wieder ums Raumgeben .... da passiert was drin.
    Ich würde mich freuen - Dich mal als Eintänzer (Ersttänzer) erleben zu dürfen, Sati

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