Donnerstag, 24. Dezember 2009

Total am Ende


 Meine Kollegin Nicola hat in ihrer „Astro Teestunde“ eine statistische Auswertung abgebildet, die so zustande kommt: man fragt bei Google, indem man eine bestimmt Aussage eingibt, etwa:
Ich möchte jetzt am liebsten gleich …“,  und  Google wirft aus, wie oft im deutschsprachigen Netz dieser Wunsch formuliert worden ist.
Ich probier’s mal:
Als erstes melden Unmengen von Seiten Reiseangebote,  aha, der Markt. Aber dann, wenn man auf die Zahl sieht … und dann auf die nächste Zahl:

ich möchte jetzt am liebsten gleich losfliegen                                        120.000
ich möchte jetzt am liebsten gleich ficken                                         10.600.000
ich möchte jetzt am liebsten gleich tot sein                                         8.280.000
ich möchte jetzt am liebsten gleich jemand abstechen                             16.700
ich möchte am liebsten jetzt gleich jemand abstechen                               6.280
ich möchte am liebsten jetzt gleich um mich ballern                                73.800
Ich möchte am liebsten jetzt gleich dich in den Arm nehmen                846.000
Ich möchte am liebsten jetzt gleich dich in die Arme nehmen                347.000
Ich möchte am liebsten jetzt gleich jemand in die Arme nehmen           572.000


Ich möchte am liebsten jetzt einen durchziehen                                    3.330.000                                                                                                                 

Jeder weiss, in uns sprechen verschiedene Stimmen. Heute Nachmittag habe ich doch noch zwei Tannenzweige mit ein paar Kugeln , Zwergen und Stohsternen geschmückt und meinen Frieden dabei gefunden. Eine andere Stimme aber hat dieses gesagt:


... heute feiern wir das kosmische Fest der Heuchelei. Alle lieben das Kind und alle verraten den Sohn, sehr viele … denk ich an meine Schulklasse … sehe ich: wie es da war, so ist es auf der Welt.
Mehr oder weniger. Mit dem 30 jährigen Jesus kann keiner was anfangen, oder fast keiner, damals nicht und heute nicht … der ist in der offiziellen Welt ein Witz.
In dieser Welt, die vor Wallstreet kniet. Vor Kannibalen.
Goldmann tut das Werk des Herren – behauptet Lloyd Blankfein, der Chef – der gleichnamigen amerikanischen Kult-Bank.
Der Jude, die Juden … hieß es früher, seit Hannah Arend wissen wir: Jemand, der sich anmaßt die Entscheidung zu treffen, wer auf diesem Planeten leben darf und wer nicht, mit dem kann die Menschheit nicht zusammen leben. Die fälligen Urteile über die deutschen Kannibalen sprachen und vollstreckten die Alliierten des 2. Weltkrieges und Schöpfer der UNO damals in Nürnberg.
Heute müssen wir hinzusetzen: niemand hat das Recht, zu entscheiden, wer hungern muss!
Was für ein Zyniker...

Agricultural commodities will be a great investment in the next three to five years,” said Oliver Kratz, who manages $10 billion as head of Global Thematic Strategy investments at Deutsche Bank AG’s DB Advisors in New York, including $3 billion in agriculture. For those who can’t afford to pay more for food, there’s the “painful” risk of hunger, he said.

 Mir fehlen die Worte. Die Finanz-Haie gehen buchstäblich über Leichen, und zwar über die der Ärmsten.

Aber was „den“ Juden betrifft: wieso soll „er“ uns vormachen, wie man ein barmherziger Christ ist?
Dabei mag es unter den Juden eine unauslöschliche Schar durch die Generationen geben, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als dem erwachsenen Jesus unauffällig ähnlich zu sein.
Zurück zu meiner Kollegin in Berlin: hier der Link zu ihrer Seite mit den berührenden Ergebnissen.
Das Grauen, die Qualen derer, die man nicht trifft, weil sie nicht aus dem Haus gehen, Kinder, die den Fluch der Lieblosigkeit erleiden und als Hölle an ihre Kinder weitergeben, Vergrämte, Vernichtete, Hoffnungslose, das beständige Rad der Qualen … hier wird es sichtbar: Millionen an ihrer elektronischen Klagemauer.

Das erwachsene Christkind hat gesagt:
 „Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den anderen lieben oder er wird zu dem einen halten und den anderen verachten. Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon. (Matth. 6,24)

Und wehe über die, die es versuchen ...

Ich bin total am Ende“ ist ein entsetzlicher Zustand und zugleich der einzig hoffnungsvolle.
Wieso? Und sind jetzt so viele am Ende? Oder immer?
Bevor Gott seinen Sohn geschickt hat, lange vorher,  hat er gesprochen (in uns):

„Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre.“
1 Mose, 14 (Luther).
Schauen wir also nach den Zeichen und Zeiten:
Am Himmel haben wir diesen Dezember zwei Götter - wir sagen: Planeten - laufen, die schon mal vom Mai bis August und jetzt nochmal bis Mitte Januar, zusammen eine Sinn-Macht bilden: Jupiter und Neptun, die Herren von Schütze und Fische. Da Fische Ende von Sein und Anfang von Sinn, bedeuten und Schütze: glückliche Fügung, so ergibt die Konotation der beiden Planeten die Aussage:
Ende des Glücks soweit man es als ein Sein verfolgt hat.



Für alle die, die nicht auf ein äußeres Glück gesetzt, gewettet, usw. haben, sondern aufs Hervorbringen von eigenem Wert und Nützlichkeit, für die kann diese Konstellation nichts zu Ende bringen, für die kann diese Konstellation höchstens den Beginn erweiterter sinnerfüllter Fügung bedeuten, denn aller Sinn, aus den Fischen kommend, aus den drei Zeichen der  Ewigkeit (Fische/Wassermann/Steinbock) gelangt über die Fügung des Schützen in die Zeit. Wo unser Glück in der Fügung in die Fügung zu finden ist.
Noch einmal Goldman und die Zauberlehrlinge der Wallstreet:
Der jüngste Beitrag im Bärenthread lautet kurz und bündig:

Den einzigen Denkfehler, den ich sehe, ist, dass Du die Dollars als Spielgeld siehst. Alle bis auf die Amerikaner haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es sich vielleicht doch um echtes Geld handeln könnte.
Der schmerzhafte Ausstieg aus dem Dollar wird solange verschoben, bis die letzte Hoffnung schwindet und der Dollar sein wahres Gesicht zeigt. Andere Währungen haben allerdings am Dollar Gefallen gefunden und fangen schon fest an, ihn nachzuahmen.
Vielleicht ist also gar kein Ausstieg aus dem Dollar nötig, da es keine wirklichen Alternativen geben wird.


Einen Menschen, der so schreibt, hat man im alten Griechenland als Zyniker bezeichnet, als „Hunds“-Philosoph, dessen Auszeichnung darin besteht, dass er sich nichts vormacht.
Nun habe ich die Brücke zum zynischen Evangelium des Walter Benjamin, das mein philosophisch/theologisches Weihnachtgeschenk für dieses Jahr sein soll, ungeachtet dessen, dass ich es vor 14 Monaten schon einmal vorgelegt habe, aber gute Sachen kann man auch dreimal … schenken. Also:
Der Meistergrübler der zwanziger Jahre, Walter Benjamin schrieb Anfang der zwanziger  Jahre ein „Theologisch-Politisches Fragment“ in dem er feststellte:
„Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, d.h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben.


Anstelle eines Nachweises der religiösen Struktur des Kapitalismus schrieb er:
Wir können das Netz in dem wir stehen nicht zuziehen. Später wird dies jedoch überblickt werden.

Und er fuhr fort:
Drei Züge jedoch sind schon in der Gegenwart an dieser religiösen Struktur des Kapitalismus erkennbar. Erstens ist der Kapitalismus eine reine Kultreligion, vielleicht die extremste, die es je gegeben hat. Es hat in ihm alles nur unmittelbar mit Beziehung auf den Kultus Bedeutung, er kennt keine spezielle Dogmatik, keine Theologie. Der Utilitarismus („alles fürs Glück der Meisten“) gewinnt unter diesem Gesichtspunkt seine religiöse Färbung.
Mit dieser Konkretion des Kultus hängt ein zweiter Zug des Kapitalismus zusammen: die permanente Dauer des Kultus. […] Es gibt da keinen Wochentag“, keinen Tag der nicht Festtag in dem fürchterlichen Sinne der Entfaltung allen sakralen Pomps, der äußersten Anspannung des Verehrenden wäre.
Dieser Kultus ist zum dritten verschuldend. Der Kapitalismus ist vermutlich der erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus. Hierin steht dieses Religionssystem im Sturz einer ungeheuren Bewegung.
Ein ungeheures Schuldbewusstsein, das sich nicht zu entsühnen weiß, greift zum Kultus, um in ihm diese Schuld nicht zu sühnen, sondern universal zu machen, dem Bewusstsein sie einzuhämmern und endlich und vor allem Gott selbst in diese Schuld einzubegreifen, um endlich ihn selbst an der Entsühnung zu interessieren.
[…]
Es liegt im Wesen dieser religiösen Bewegung, welche der Kapitalismus ist, das Aushalten bis ans Ende, bis an die endliche völlige Verschuldung Gottes, den erreichten Weltzustand der Verzweiflung, auf die gerade noch gehofft wird.
Darin liegt das historisch Unerhörte des Kapitalismus, dass Religion nicht mehr Reform des Seins sondern dessen Zertrümmerung ist. Die Ausweitung der Verzweiflung zum religiösen Weltzustand aus dem die Heilung zu erwarten sei. Gottes Transzendenz (Außerweltlichkeit) ist gefallen. Aber er ist nicht tot, er ist ins Menschenschicksal einbezogen.
Dieser Durchgang des Planeten Mensch durch das Haus der Verzweiflung in der absoluten Einsamkeit seiner Bahn ist das Ethos das Nietzsche bestimmt. Dieser Mensch ist der Übermensch, der erste der die kapitalistische Religion erkennend zu erfüllen beginnt.
Ihr vierter Zug ist, dass ihr Gott verheimlicht werden muss, erst im Zenit seiner Verschuldung ausgesprochen werden darf. Der Kultus wird vor einer ungereiften Gottheit zelebriert, jede Vorstellung, jeder Gedanke an sie verletzt das Geheimnis ihrer Reife. […]
Der Gedanke des Übermenschen verlegt den apokalyptischen „Sprung“ nicht in die Umkehr, Sühne, Reinigung, Buße, sondern in die scheinbar stetige, in der letzten Spanne aber sprengende, diskontinuierliche Steigerung. […] Der Übermensch ist der ohne Umkehr angelangte, der durch den Himmel durchgewachsene, historische Mensch. Diese Sprengung des Himmels durch gesteigerte Menschhaftigkeit, die religiös […] Verschuldung ist und bleibt …
Der Kapitalismus ist eine Religion aus bloßem Kult, ohne Dogma. Der Kapitalismus hat sich […] auf dem Christentum parasitär im Abendland entwickelt, dergestalt, dass zuletzt im Wesentlichen seine Geschichte die seines Parasiten, des Kapitalismus ist." (Ges. Schriften, II/3, S. 203, Frankfurt/M. 1980)

Die Bühne der Religion ist die Seele des Einzelnen. Der Kapitalismus kennt keine Seele, mithin keinen Einzelnen, sondern nur Angebot und Nachfrage. Das macht, dass er prall ist von ungelebter, unbewusster Seele, seine Segel sind unermesslich gebläht von den Winden unbewusster Religion. Unbewusstheit aber ist die größte Sünde, oder sollte man sagen Tragödie,  des Menschen. Hätten sonst unsere Ahnen  die Geburt des Erlösers gefeiert indem sie Lichterbäume angezündet haben in der Dunkelheit?
Gespeichert 24.12.2009, UTC 22:26, gepostet: UTC 22:44.




                    


3 Kommentare:

  1. Bravo Bravo Bravo
    Mundanomaniac du hast es erfasst und vortrefflich geschildert .
    lG
    Helga

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  2. Lieber Mundanomaniac,

    jawohlstens!

    sind wir,
    wenn jeglicher Kultus zum Cool-tus wird,
    Golgatha mit Colgate verwechselt wird!!

    Zum großen Glück gibt es noch
    Stern-Kundige und Stern-Künder
    wie Dich, die verinnerlicht haben
    den "Kultus der Sterne"
    und schöpfen können aus diesem
    "Kosmischen Kultus" [Steiner]:

    "Sterne sprachen einst zu Menschen,
    Ihr Verstummen ist Weltenschicksal;
    Des Verstummens Wahrnehmung
    Kann Leid sein des Erdenmenschen;

    In der stummen Stille aber reift,
    was Menschen sprechen zu Sternen;
    Ihres Sprechens Wahrnehmung
    Kann Kraft werden des Geistesmenschen."



    Herzlich grüßt
    Mythopoet

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  3. Lieber Mythopoet
    Kultur wurde -also das Wort - schon vergewaltigt .... heute ist schon allerlei Kult (ur) was gerade einmal eine Modeerscheinung sein soll .
    Sollte irgendeinem findigen Promoter heute einfallen ,das Jesus Kult ist ,dann wirst du einen Hype erleben.

    In 100 Jahren wird unsere Jetzt-Zeit leider Gottes als Kultur in die Geschichte gehen ,wobei sich mir die Haare auftuermen bei diesem Gedanken .

    Liebe Gruesse
    Helga

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